Über das Kuriose, Konventionelle und Alltägliche in der Bewegungssprache
Ein Bericht von Sarah Keusch
«Handlung wird allgemein besser verstanden als Worte. Das Zucken einer Augenbraue, und sei es noch so unscheinbar, kann mehr ausdrücken als hundert Worte.» (Charly Chaplin)
Dieses Zitat von Charly Chaplin finde ich einen schönen Einstieg. Nicht selten ringt man in einer Angelegenheit nach Worten, während dessen die Körpersprache meistens schon spricht.
Der Körper – er ist stetig auf Sendung und kommuniziert, bewusst oder unbewusst. Die bewusste Körperarbeit und der Tanz wurde im Laufe der Jahre zu meinem Hauptinteressensfeld und zu meinem Beruf.
Seit 15 Jahren setze ich neben Gastprojekten in der freien Tanzszene, eigene Ideen und Projekte im Bereich Tanz und Performance um. Es lässt mich glühen, zweifeln, suchen, hinschmeissen und erfreuen und vor allem wachsen. Wo trennt sich Arbeit und Alltag und wo findet beides zusammen? Für den Text picke ich einige mir wichtig erscheinende Stationen aus meinem (Berufs)-Alltag heraus.
Über das Machen
Verspieltes Kämpfen, Kräfte messen, Grenzen spüren, dies mochte ich bereits als kleines Mädchen und ist heute noch so, wenn ich mich zum Ausgleich zum Tanz in verschiedene Kampfkunstdisziplinen begebe.
Als ich in den jungen Jahren den urbanen Tanz entdeckte, wurde aus dem Austoben mehr und mehr eine Form des Ausdruckes. Ich kann mich noch gut an mein breites Grinsen erinnern, als ich in Paris das erste Mal eine Lektion von Toni Maskott und Phax besuchte (Funk/ Ralenti). Zu dieser Zeit befand ich mich in der Lehre zur Pharmaassistentin und wusste noch nicht so recht was mir beruflich gefällt und was ich will. Gleichzeitig wurde der Tanz zunehmend wichtiger. Das Interesse am Körper wurde zwar in der Berufslehre teilweise bedient, aber ich war froh, als ich den Abschluss hinter mir hatte und mich einer tanzpädagogischen Ausbildung hingeben durfte.
Erst noch vor wenigen Wochen kam es zu einem Wiedersehen mit der ersten Tanzgruppe namens «Streetjugglers», welche ich vor 15 Jahren leitete. Mini DV Tapes unserer damaligen Auftritte liessen Erinnerungen aufleben. Mir wurde wieder bewusst, wie wertvoll diese ersten Unterrichtsjahre waren, wie sehr die Gruppe meine weiteren Schritte beeinflusste. Es war eine Zeit, in der ich die Wichtigkeit der Bühne und des Choreografierens realisierte und folglich eine zeitgenössische Bühnentanz Ausbildung begann. Eine wichtige Etappe war dabei einmal mehr Paris.
Während mehreren Monaten genoss ich alles was irgendwie mit Tanz, Theater, Pantomime, Kunst und «savoir vivre» zu tun hatte.
Zurück in der Schweiz, nach dem Abschluss an der ZTTS, gründete ich 2008 die Compagnie Quilla. Die Vision war, ein Austausch mit Künstlern aus unterschiedlichen Sparten anzukurbeln und nach Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen, die sich im Performance, Tanz und Videobereich befinden. Begonnen hat vieles zusammen mit einer guten Kollegin, einer Filmemacherin und Bildforscherin. Die Experimentalfilme und Musicvideos, die damals in Zusammenarbeit entstanden, waren Resultate von passionierten, engagierten Low Budget Aktionen.
Wegweisend für die Compagnie Quilla war vor allem die Zusammenarbeit mit einer Gothicband aus Berlin. Für das Amphifestival 2010 in Köln, ein Openairfestival der schwarzen Szene, suchte diese Band eine stündige Tanzperformance passend zum Konzert. Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als ich damals am Telefon mit dem verantwortlichen Chris Pohl sprach und ihn fragte, was er sich denn vorstellt. Er meinte: « Jaaa, du bist frei, du kannst selbst konzipieren und entscheiden wie die Show aussehen soll. Ich schicke dir die Setlist». Wie bitte? Ich war von den Socken.
Das Erfreuliche dabei war, Fuss fassen zu können mit Tanz/Performance in der schwarzen Szene. Die Vorliebe für die Subkultur des Gothic und Metal sah ich bis dahin getrennt von der Tanzwelt und gehörte mehr in mein Privatleben.
Mit Rebekka Scharf sind wir seit 2012 immer wieder dran, für Lesungen Schlossevents und Bühne unsere Programme zu verfeinern und weiter zu entwickeln. Die nächste Performance findet im HR Giger Museum zum 20jährigen Jubiläum in Gruyère statt. Ein Event der uns besonders freut.
„Wertschätzung und Demut Anderem gegenüber ist sehr wertvoll und befreiend. „
Der Tanz und die Subkulturen des Ghotic und Metal
Die schwarze Szene, eine in den 80ern als eine aus dem Punk resultierende Stilrichtung, vereint künstlerische Darbietungen aus der Performance, Lyrik und Musik schon lange und spielt mit Kontrasten und Symbolen. Der Stil ist breit gefächert und vielfältig. Wer eine Vorliebe für das Obskure, Melancholische, Morbide und gleichzeitig Elegante und Erhabene pflegt, erkennt ein Potenzial in tänzerischer und performativer Hinsicht.
Nicht weniger spannend aber anders als die Gothic-Kultur verhält sich die Metalkultur. 2016 entstand im Kollektiv mit einem Musiker das Workshop Konzept «Metal_Flowmotion». Die Frage, wie Tanz und Metalmusik zusammenspielen steht dabei im Mittelpunkt. Wir realisierten, dass sich eine reichhaltige Bewegungssprache aus den Inhalten und Motiven, welche die Metal Subkultur liefert, entwickeln lässt. Sich von der Wucht des eignen Bewegungspotenzials mitreissen zu lassen ist ein Aspekt und wie diesen mit der Sprache des Tanzes zu verbinden ein Weiterer. Kontraste und Spannungsverhältnisse in der Musik sind dabei treibend. Auch im Metalgenre ist die Stilvielfalt sehr gross und divers. Das eine spricht mich persönlich an, Anderes weniger bis gar nicht.
Projekte im Gothic und Metalbereich umzusetzen rührt vor allem von einem Interesse an der Auseinandersetzung mit Unkonventionellem her, einer Suche nach der Diversität an Ausdrucksmöglichkeiten. Das Kuriose, Einzigartige, kompromisslos Ehrliche zu realisieren und auch zuzulassen ist ein stetiger Prozess, was mich auch immer wieder veranlasst in andere Berufsfelder, Szenen und Bewegungskonzepte einzutauchen.
Der anfängliche Beruf Pharma-Assistentin sollte nicht der Beruf sein, der mich erfüllt und trotzdem zieht sich die Neugierde am Körper und der Bewegung auf unterschiedliche Weise durch das Alltags- und Berufsleben und fand in der Ausbildung in Spiraldynamik und im Performancemaster nochmals weitere Ansätze. Unterdessen freue ich mich, das künstlerische und didaktische Bewegungs- und Körperwissen an der Hochschule Luzern, an Musik- und Bewegungsstudierende weiter zu geben. Dies ermöglicht mir in künstlerischer Hinsicht Freiraum zu nehmen, verstärkt auf die eigenen Projekte mit der cie Quilla zu fokussieren. Ein Privileg, das ich vor noch ein paar Jahren nicht kannte. Es war ein permanentes Rennen und Kämpfen um den letzten Franken, der meistens noch vor Monatsende schon wieder weg war. Ein leidiges Künstlerdilemma, das viele kennen.
Über die Jahre findet langsam alles seinen Platz und fügt sich zusammen und ergänzt sich. Was mir immer wichtig erschien und auch heute ist, ist die Neugierde und Offenheit Fremdem gegenüber zu bewahren. Ob Kunstsparten, Stile, Menschen, die Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten soll ein Manifest sein. Schliesslich bereichert sich vieles gegenseitig. Dazu kommt mir ein Leitspruch aus dem Design in den Sinn, den ich von jemandem zu hören bekam. «Form follows function», ich mag den Satz unglaublich gerne. Er lässt sich meines Erachtens gut in Verbindung mit der Anatomie und der Bewegung bringen. Muskeln, Bänder und Sehnen ziehen an den Knochen durch jede einzelne Bewegung. Die Bewegung formt unser Skelett mit. Jede Bewegung ist somit der Auslöser für die Einzigartigkeit eines Ausdrucks und gestaltet uns.
Für diesen Bericht beleuchtete ich eine Nische einer Kunstform, die wahrscheinlich in der Tanzwelt weniger bekannt ist und die ich mehr zum Tanz gesellen möchte.
Aus meiner Sicht als freischaffende Tänzerin und Choreografin ist der Anspruch gross, die eigene Unabhängigkeit zu bewahren. Diese Freiheit mag sicherlich für alle ganz anders aussehen. Wertschätzung und Demut Anderem gegenüber ist dennoch sehr wertvoll und befreiend. Missgunst und Ignoranz ist unnütz und beraubt die eigene Kreativität, Neugierde und Freude am Riskieren zu Scheitern. Das ist schade, denn die so genannten «Fehler» bewirken meistens Fortschritt und Erkenntnis.